Gesund lernen, gesund leben?

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Die kulturelle Bedeutung des Sports: Deutsche und tunesische Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops bei einem Kanuausflug in Karlsruhe-Daxlanden.

Wie wichtig ist der Sport in der tunesischen Gesellschaft? Welchen Stellenwert hat der Schulsport? Was können tunesische Sportwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler von Deutschland lernen? Ein Gespräch mit Dr. Hamdi Chtourou von der Universität Sfax, der das Projekt „Gesunde Lernumgebung im Zeitalter interkultureller Diversität – Transition in Bewegung“ gemeinsam mit Prof. Alexander Woll vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) leitete. Das Thema des Projekts war die kulturelle Bedeutung von Sport und Bewegung mit ihren gesundheitlichen, sozial-integrativen und gesellschaftlichen Funktionen in den zwei Kulturen. Es wurde vom DAAD im Rahmen der Deutsch-Arabischen Transformationspartnerschaft gefördert.

Welchen Stellenwert hat der Sport in der tunesischen Gesellschaft?
Eine sehr große! Das sehen Sie jedes Wochenende, wenn die Spiele der Bundesliga, der Serie A oder der Premier League laufen. Die Cafés in Tunis oder Sfax waren vor Corona zu den Anstoßzeiten überfüllt. Aber die Tunesier lieben nicht nur den Fußball. Inzwischen joggen oder biken immer mehr junge Frauen und Männer. Auch die Fitnessstudios sind gut besucht. Ab einem bestimmten Alter brechen diese sportlichen Aktivitäten allerdings ab. Sobald Tunesier verheiratet sind, hören sie mit dem aktiven Sport auf. Die Frauen bleiben zu Hause, kümmern sich um den Haushalt und die Kinder, die Männer gehen in die Cafés und gucken Fußball. Die Folge: Sie werden unbeweglich. Das bestätigt auch die wachsende Zahl übergewichtiger Menschen – übrigens in allen Altersgruppen, auch unter Kindern und Jugendlichen.

Aber es gibt doch den Schulsport?
Ja, natürlich. Er ist sogar Teil des Curriculums und wird, mit Ausnahme des Turnens, sogar koedukativ unterrichtet. Was übrigens nicht in allen arabischen Gesellschaften der Fall ist. Allerdings ist das der Idealzustand. Im wahren Leben sieht es oft ganz anders aus: An vielen Schulen fehlen Sportlehrerinnen und Sportlehrer, im weniger entwickelten Süden Sportplätze und Turnhallen. Manchmal scheitert der Sportunterricht an ganz einfachen Dingen. Wenn ich Sport unterrichte, achte ich zum Beispiel darauf, dass die Kinder und Jugendlichen regelmäßig Wasser trinken, um nicht zu dehydrieren. Das ist auf dem Land gar nicht möglich, weil die Wasserqualität schlecht ist.

Gesund lernen, gesund leben?

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Dr. Hamdi Chtourou (vorn) mit Studierenden während des Kanuausflugs auf einem Altrheinarm.

Was kann man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler dagegen unternehmen?
Wir müssen die Politik immer wieder daran erinnern, dass Sport für unser Land sehr, sehr wichtig ist, um Armut und Krankheiten zu bekämpfen, und dass wir dadurch Geld einsparen können, das wir dringend in Bildung und Forschung investieren müssen. Denn durch den Sport halten wir ja nicht nur unseren Körper fit, sondern trainieren auch unser Gehirn. Das ist hinlänglich bekannt. Aber unsere Politikerinnen und Politiker verstehen das häufig nicht – noch nicht.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das Projekt „Gesunde Lernumgebung im Zeitalter der interkulturellen Diversität“, das Sie gemeinsam mit Prof. Alexander Woll vom Karlsruher Institut für Technologie geleitet haben?  
Das Projekt hat uns gezeigt, wie sehr die kulturelle Bedeutung von Sport und Bewegung sich auf Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen auswirken kann – und zwar vom Kindergartenalter bis zum Eintritt ins Berufsleben. Die Settings, also die Lernumgebungen in Kindergärten oder Schulen, sind in Tunesien und Deutschland allerdings sehr unterschiedlich. Deswegen ist dieser Austausch so wichtig für uns. Bei unseren Deutschlandbesuchen sehen wir Dinge, die wir in Tunesien so nicht kennen. Zum Beispiel: Fahrradpisten oder Beach-Volleyballplätze, obwohl es in Tunesien so viele Sandstrände gibt. Nach unserer Rückkehr haben wir auf unserem Campus eine Fahrradpiste und einen Sand-Volleyballplatz gebaut. Beides wird von den Menschen in Sfax begeistert genutzt.

Und wie profitieren die Studierenden davon?
Die Workshops mit den deutschen Master-Studierenden sind für sie extrem wichtig, um neue Gedanken auszutauschen und eigene Ideen zu präsentieren. Auch die FoSS-Master-Summerschool – geleitet von Prof. Dr. Swantje Scharenberg (FoSS) im Teamteaching mit Dr. Frieder Krafft –, die in diesem Sommer wegen der Corona-Pandemie hybrid stattfand, war für die meisten Teilnehmenden eine völlig neue Erfahrung, weil sie erstmals digitale Techniken als Kommunikations- und Präsentationsmittel genutzt haben. Deswegen hoffe ich sehr, dass wir die Kooperation mit dem KIT noch weiter ausbauen und neue Projekte auch mit anderen deutschen Universitäten entwickeln können.  

Michael Siedenhans (18. Februar 2021)

Impressionen aus dem Workshop

„Gesunde Lernumgebung im Zeitalter interkultureller Diversität – Transition in Bewegung“

Das Projekt startete 2019, um zu thematisieren, wie ein gesunder Lebensstil in der deutschen und der arabischen Gesellschaft dazu beitragen kann, schwierige Lebenssituationen besser zu bewältigen sowie Fitness, Gesundheit und Selbstvertrauen von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Unter der Leitung von Sina Hartmann bzw. Dr. Frieder Krafft, beide vom FoSS, dem Forschungszentrum für den Schulsport und den Sport von Kindern und Jugendlichen, entwickelten die Sportwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Konzepte für unterschiedliche Lernumgebungen – vom Kindergarten über die Schule bis zum Eintritt in die Berufswelt.

Deutsch-Arabische Transformationspartnerschaft

2012 startete das Förderprogramm mit den Zielländern Ägypten und Tunesien, 2013 kamen Jemen, Jordanien, Libyen und Marokko hinzu, 2016 der Irak und Libanon. Das Programm beinhaltet drei Programmlinien. Das Forschungsprojekt „Gesunde Lernumgebung im Zeitalter interkultureller Diversität  ̶ Transition in Bewegung“ wurde im Rahmen der Programmlinie 1: Deutsch-Arabische Hochschulpartnerschaften durch den DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert.