Hochschulen tragen gesellschaftliche Verantwortung

DAAD/Thilo Vogel

Dr. Dorothea Rüland, Generalsekretärin des DAAD

Das Schlagwort von der „Third Mission“ macht die Runde. Hochschulen, so die These, haben über Forschung und Lehre hinaus eine soziale Verantwortung für die Gesellschaft. Der DAAD lässt aktuell untersuchen, wie Hochschulen diesen Auftrag bei ihrer Internationalisierung berücksichtigen können. Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland und Studienleiter Uwe Brandenburg, PhD., sprechen über Inhalte und Ziele der Studie.

Herr Brandenburg, zusammen mit Hans de Witt, Betty Leask und Elspet Johnes führen Sie aktuell eine Studie für den DAAD durch. Worum geht es dabei?
Uwe Brandenburg: Unser Ansatz ist es herauszufinden, welchen Beitrag die Internationalisierung zu den großen Gesellschaftsproblemen wie Klimawandel, Flüchtlinge, Radikalisierung, Populismus oder Sicherung der Demokratie leisten kann. Konkret geht es darum, eine Systematisierung des Konzeptes von International Higher Education for Society (IHES), also Internationalisierung für die Gesellschaft, zu leisten. Besonders wichtig ist uns, eine Art Typenbildung anhand von Beispielen aus der Praxis zu liefern, die Hochschulen helfen sollen, IHES systematisch als Teil der Internationalisierung zu integrieren.

Frau Dr. Rüland, warum hat der DAAD diese Studie in Auftrag gegeben?
Dorothea Rüland: Hochschulen sind heute durch und durch internationalisiert. Daraus hat sich die Frage ergeben, was für eine Wirkung Internationalisierung auf die Gesellschaft hat. Es gibt bislang wenige Studien zu diesem Thema.

Inwiefern haben Hochschulen eine soziale Verantwortung?
UB: Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass eine Hochschule keinen gesellschaftlichen Auftrag hat. Forschung und Lehre sind nie Selbstzweck. Wir sehen zudem aktuell eine ganz starke Entwicklung hin zu immer stärkerer Hochschulverantwortung. So sagen 2.000 Hochschulen weltweit, die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen seien nur mithilfe der Hochschulen erreichbar.
DR: Das sehe ich genauso. Heute kann man die ganz großen Themen nur in internationalen Kooperationen adressieren. Klimawandel ist eines der besten Beispiele, aber es gibt viele weitere. Auf der anderen Seite sind die Themen so komplex, dass sie eigentlich nur die Wissenschaft lösen kann.
UB: Aber bei der Internationalisierung machen wir uns bislang sehr wenig Gedanken, was mit diesen Aktivitäten bewusst passieren kann. Nehmen Sie den Klimawandel. Alle Hochschulen sagen: Wir müssen einen grünen Campus entwickeln. Ich vermisse aber bislang eine klare Positionierung, welche Rolle Internationalisierung dabei spielt, zum Beispiel im Rahmen der vielen Mobilitätsprogramme.

Ist die Internationalisierung ein Treiber für soziales Engagement?
UB: Sie ist aktuell definitiv kein Treiber. 2019 ist ein Zwischenbericht eines großes EU-Projekts erschienen, das die Entwicklung eines Rahmens für soziales und gesellschaftliches Engagement von Hochschulen zum Ziel hat. Darin wurde ausdrücklich bedauert, dass soziales Engagement nicht gegenüber Forschungsexzellenz und Internationalisierung priorisiert werde. Das sagt im Moment eigentlich alles: Internationalisierung und soziales Engagement werden derzeit eher als Konkurrenzthemen gesehen. Wenn wir feststellen, dass soziales Engagement mehr und mehr zu einem wichtigen Thema in Lehre und Forschung wird, sollte Internationalisierung sich auch dieses Themas annehmen. Wir sehen aber, dass die Akteure, die sich für soziales Engagement einbringen, noch relativ wenig in Kommunikation mit denjenigen stehen, die sich für Internationalisierung einsetzen. Dabei gibt es Schnittstellen, die von den Akteuren in beiden Bereichen genutzt werden könnten.

Wie kann man das fördern?
UB: Ich sollte mir als Hochschule bei jeder Aktivität, die ich betreibe, die Frage stellen: Welches gesellschaftliche Problem möchte ich damit lösen helfen? Und inwiefern nutzt mir da meine Internationalisierungskompetenz?

Welchen Beitrag kann der DAAD dazu leisten?
DR: Wir befassen uns gerade damit, das Thema – auch zusammen mit Herrn Brandenburg und seiner Gruppe – theoretisch aufzuarbeiten, um es in die Diskurse einzuführen. Daneben überlegen wir, ob wir das bei unseren Programmen mit einbauen. Wenn wir Internationalisierungsprogramme aufsetzen, fragen wir uns heute zuerst: Welche Wirkung wollen wir damit erzielen? Da fließt fast automatisch der gesellschaftliche Aspekt mit ein. Wir haben zum Beispiel gerade ein großes Programm aufgesetzt zur Internationalisierung der Lehramtsausbildung.

Gibt es weitere Beispiele?
DR: In einem Programm arbeiten Hochschulen in Deutschland und im globalen Süden zusammen mit Akteuren der lokalen Wirtschaft, um die Curricula sehr viel stärker an den Bedürfnissen vor Ort auszurichten. In Jordanien fördern wir einen Studiengang in Social Work, um junge Menschen auszubilden, die später, wenn der Krieg in Syrien beendet sein sollte, in diesem Bereich tätig werden. Gerade im Kontext der Integration von Geflüchteten sind enorm viele Projekte entstanden. Wir haben zum Beispiel mit der Universität Konstanz ein großes Blended-Learning-Projekt aufgelegt, und wir unterstützen zahlreiche Projekte im Kontext von Traumata.

ThirdMission_UweBrandenburg

DAAD/privat

Uwe Brandenburg, PhD., Managing Director des Global Institutes in Prag

Herr Brandenburg, wollen Sie Beispiele aus Ihrer Studie hinzufügen?
UB: Das erste Beispiel ist das Welcome Center für die Region in Göttingen. An der Universität gab es bereits ein solches Center für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um ihnen den Einstieg zu erleichtern. Dann ist man auf die Idee gekommen, das Gleiche für die Wirtschaft der Region zu tun. Andere Beispiele: In Chile gibt es darüber hinaus eine Universität, die Unternehmerinnen nach Spanien oder in andere lateinamerikanische Länder geschickt hat, damit sie lernen, wie sie ihre Produkte besser vermarkten können. Peacemakers ist ein EU-Projekt, geleitet von der Koç Universität in der Türkei, bei dem es darum geht, Migranten und Menschen vor Ort zusammenzubringen, die Konflikte herauszuarbeiten und zu lösen. Ein weiteres großes Projekt ist Social Erasmus. Weiterhin betreibt die Leeds Beckett University in Großbritannien ein Programm, in dem Studierende physiotherapeutische Ansätze in Nepal angewandt haben. Die La Trobe University in Melbourne verfolgt ein ähnliches Konzept durch therapeutische Interventionen in Kambodscha und Indonesien.

Wann und wie werden Sie die Ergebnisse präsentieren?
DR: Der theoretische Teil steht. Bis Herbst folgen die praktischen Beispiele. Im April kommenden Jahres wird es eine große Tagung in Prag geben, die vom Institut von Herrn Brandenburg veranstaltet wird, bei der das Thema im Fokus steht. Wir merken: Das Thema liegt aktuell in der Luft.

Interview: Peter Nederstigt (29. August. 2019)

Weitere Informationen

Uwe Brandenburg, PhD., ist Managing Director des Global Impact Institutes in Prag. Am 23. und 24. April 2020 findet dort die Konferenz „Making a Difference: Internationalisation in Higher Education for Society“ statt (nähere Informationen werden Anfang September unter www.ihes-conference.com verfügbar sein), bei der auch die Ergebnisse der aktuellen Studie „Internationalisation in Higher Education for Society“ vorgestellt werden, die Brandenburg aktuell mit drei internationalen Kolleginnen und Kollegen im Auftrag des DAAD durchführt.