Migrationsforschung in den USA: „German Studies“-Dozent Dr. Jan Musekamp im Interview

Heide Fest/Europa-Universität Viadrina

Kulturwissenschaftler Dr. Jan Musekamp ist Experte für Migration und Osteuropa

Von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder ins amerikanische Pittsburgh: Der Kulturwissenschaftler Dr. Jan Musekamp ist mit dem DAAD „German Studies“-Dozent in den USA. Dort begegnet dem 42-Jährigen vielfältiges Interesse an Deutschland und der europäischen Geschichte.

Herr Dr. Musekamp, seit einem halben Jahr lehren Sie an der University of Pittsburgh. Welche Eindrücke haben Sie bisher gewonnen?
Jan Musekamp: Meine Frau, meine drei Kinder und ich haben uns gut eingelebt. Für mich ist dieser Vertrag, der zunächst zwei Jahre laufen soll, eine riesige Chance. Das European Studies Center und der Fachbereich Geschichte der University of Pittsburgh genießen einen sehr guten Ruf. Die Forschenden reden auf Augenhöhe miteinander; die Hierarchien sind flacher als in Deutschland. Auch werden die Studierenden in den USA außergewöhnlich gut betreut: Den Lehrenden fällt es kaum ein, auf eine Mail eines Studierenden nicht zu reagieren oder einen Mitarbeitenden mit der Antwort zu beauftragen. Die Studierenden stehen im Mittelpunkt, schließlich zahlen sie auch Studiengebühren.

Sie sind Experte für die Themen Migration und Osteuropa. Aus welchen Fachrichtungen kommen die Studierenden bei Ihren Lehrveranstaltungen?
Aus allen möglichen: aus der Geschichts- und Politikwissenschaft ebenso wie aus Medizin und Pharmazie. Ähnlich wie im Studium generale in Deutschland besuchen die Studierenden Seminare in verschiedenen Fächern, um ihr Allgemeinwissen zu verbessern. Migration ist ein Thema, mit dem hier jeder etwas anfangen kann, weil sich sämtliche Lebens- und Familiengeschichten letztlich mit Einwanderung verbinden lassen. 

Wie viel Vorwissen bringen die amerikanischen Studierenden mit?
Das ist unterschiedlich. Aus dem Geschichtsunterricht an der Schule wissen sie viel über den Holocaust und den Kalten Krieg. Auch der Krieg in Jugoslawien in den 1990er-Jahren ist durch die damalige Einflussnahme der USA recht präsent. Von den Grenzverschiebungen in Europa und den ethnischen Säuberungen im 19. und 20. Jahrhundert haben die meisten jedoch kaum etwas gehört. Diese Themen kann ich aber in Beziehung setzen zu dem, was in den USA im 19. Jahrhundert der indianischen Bevölkerung widerfahren ist.

Wie gehen Sie in Seminaren über osteuropäische Geschichte vor? Vermutlich können nur wenige Studierende Texte auf Polnisch, Tschechisch oder Deutsch lesen.
Die Graduierten beherrschen europäische Sprachen recht gut, die Studierenden jedoch nicht. Mit ihnen arbeite ich mit englischsprachigen Quellen. Gerade über Polen und Deutschland wurde viel auf Englisch publiziert, auch weil sich beide Länder seit Langem in intensivem Austausch mit den USA befinden. Im kommenden Semester möchte ich Forschende aus Polen einladen: Sie könnten sich in Pittsburgh auch darüber austauschen, was die Politik der aktuellen nationalkonservativen polnischen Regierung für anspruchsvolle Geschichtswissenschaften bedeutet. Über das sogenannte Holocaust-Gesetz, das diese Regierung verabschiedet hat, haben die US-Medien intensiv berichtet. 

Wie bekannt ist der DAAD an der University of Pittsburgh?
Die Forschenden kennen ihn. Meine Vorgängerinnen und Vorgänger haben gute Arbeit geleistet, öffentliche Veranstaltungen organisiert und Netzwerke geknüpft. Ich sitze in einem Gremium der Universität, das Studierende bei ihrer Bewerbung um ein DAAD-Stipendium berät und eine Vorauswahl trifft. Wie viele Wege es gibt, einen solchen Aufenthalt in Deutschland zu organisieren, und wie viele Möglichkeiten, ihn zu finanzieren – auch unabhängig vom DAAD –, sorgt immer wieder für Erstaunen. Viele Studierende und Forschende interessieren sich für Deutschland. Das liegt einerseits am Erfolg deutscher Produkte. Andererseits sieht man in einer Stadt, wo viele Menschen die Demokraten wählen, in Angela Merkel eine wichtige Repräsentantin der freien Welt.

Sie waren mit DAAD-Förderung auch bereits Dozent in Texas.
Ja, im Jahr 2011 als Visiting Assistant Professor an der University of Texas in Austin, einer Partneruniversität der Europa-Universität Viadrina. In Austin hielt ich Seminare über Flucht und Vertreibung sowie über die deutsch-polnischen Beziehungen. Letzteres ist in den USA eigentlich ein recht spezielles Thema. Mich hat überrascht, wie viele Menschen in meine Seminare kamen.

Josefine Janert (4. Februar 2019)

Weiterführende Informationen

„German Studies“-Dozenturen in Nordamerika

Seit 35 Jahren fördert der DAAD die Präsenz deutscher und europäischer Themen an führenden US-amerikanischen und kanadischen Hochschulen durch sein Programm für „German Studies“-Dozenturen. Rund 150 deutsche Gastdozentinnen und -dozenten aus zahlreichen Fachdisziplinen haben seit 1984 an dem Programm teilgenommen und so auch zur Vermittlung eines authentischen und zeitgemäßen Deutschlandbildes an den nordamerikanischen Hochschulen beigetragen. Zurzeit fördert der DAAD Dozentinnen und Dozenten an 21 Standorten in den USA und Kanada. Das Programmangebot richtet sich vorrangig an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in den Bereichen Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie und Kulturwissenschaft mit deutscher, europäischer oder transatlantischer Perspektive.

Übrigens: Auch im Rahmen seines Programms für Kurzzeitdozenturen ermöglicht der DAAD Lehraufenthalte in den USA. Dr. Jan Musekamp war im Rahmen dieses Programms von Januar bis Juni 2011 Dozent an der University of Texas in Austin.